Gerechtigkeit

Der Bergriff der Gerechtigkeit stammt aus der römischen Rechtsphilosophie. Iustitia ist das Symbol, die Personifizierung für diese Gerechtigkeit. Seit Marcus Tulius Cicero (106 – 43 v.Chr.) wird sie vom Recht unterschieden. Der römische Jurist Ulpian (170 – 228 n. Chr.) hat die Gerechtigkeit als den festen und dauernden Willen, jedem sein Recht zuzuteilen definiert (so Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort Gerechtigkeit). Sie regelt mithin die Beziehungen von Menschen untereinander. Die zentrale Frage ist dabei, wer bestimmt, was „sein Recht“ ist und wie es zugeteilt wird.

Zunächst hat jeder Mensch selbst eine Vorstellung davon, was sein Recht im Einzelfall ist. Dass hier das soziale Umfeld, die Erziehung und sonstige individuelle Eigenschaften maßgeblich beteiligt sind, ergibt sich von selbst. Diese subjektive Sicht kann aber nicht allein ausschlaggebend sein. Vielmehr kommt eine objektivierende Sicht derer hinzu, die das individuelle Begehren beobachten und werten. Das führt aber nur dann zu einer nach Ausgleich verlangenden Gerechtigkeit, wenn es eine neutrale und unabhängige Instanz gibt, die in der Lage ist, eine solche Wertung abzugeben und das Ergebnis auch durchzusetzen.

Nur dann ist ein Zusammenleben in größeren Verbünden möglich. Deshalb haben sich schon sehr früh Menschen wie Hammurabi, König von Babylonien ( gest. 1750 v. Chr.) und Moses um entsprechende Regeln (Sozialgebote) bemüht.
Welch eine extrem wichtige Rolle die Gerechtigkeit im Leben der Menschen spielt, hatte auch Jesus erkannt. Er sagte: Wenn die Ungerechtigkeit überhand nimmt, erkaltet die Liebe (Matthäus 24,12). Da neben Glaube und Hoffnung die Liebe aber gerade die wichtigste der göttlichen Tugenden darstellt (Hohes Lied der Liebe, 1. Korintherbrief 13, 1-13), wird klar, was das für Folgen haben muss. Auch das war mir gut bekannt, weil ich mich intensiv damit beschäftigt hatte. Das Ergebnis habe ich einem Herrn Meier und einem Studenten wie folgt in den Mund gelegt:


Aus der Reihe: Werkstattgespräche:
Professor Meier

Professor Meier, Therapeut,
geht ganz gern mal „unter Leut“.
Das bedeutet dann für ihn,
durch belebte Straßen ziehn.
Er hört und sieht, analysiert,
was Menschen tun und interessiert.
Immer in action und stets hellwach,
Er ist eine Koryphäe in seinem Fach.
Doch seit einigen Tagen nun
lässt ihn etwas nicht mehr ruhn.
Er traf im Park auf einen Mann.
Der zog ihn gleich in seinen Bann.
Auf einer Tischtennisplatte aus Beton
arrangierte dieser eine Installation.
Doch kam er damit einfach nicht klar,
lief hin und her, raufte sein Haar.
Herr Meier schaute sich das an.
Dann trat er an den Tisch heran.
Junger Mann, darf ich mal fragen?
Die Sorgen, die Sie sichtlich plagen,
stehen im Zusammenhang mit dem,
was Sie hier als Kunstproblem
auf dem Tisch ausbreiten. In Wahrheit aber
wollen Sie Ihr eigenes Schicksal aufarbeiten.
Darf ich Ihnen assistieren
und Sie Sie zur Lösung inspirieren?
Das glaub‘ ich nicht, brummte der Mann:
Ich bezweifele, dass das jemand kann.
Dabei hab‘ ich das Thema selbst gewählt
und auch noch jedermann erzählt,
eine Bibelzeile zu visualisieren.
Doch jetzt fürchte ich, zu verlieren.
Ich denke, grüble, quäle mich.
Doch mein Talent lässt mich im Stich.
Ich esse nicht und schlafe kaum.
In meinem Kopf ist nur noch Raum
Für die eine große Frage:
Welches Symbol steht für die Klage,
wonach die Liebe stark erkaltet,
wenn zunehmend Ungerechtigkeit waltet.
Für Ungerechtigkeit, da hab ich was.
Hier, die Justitia ist das Maß.
Ohne ihre Augenbinde gerät sie in Gefahr.
Denn dann gibt es fürwahr
Für Gerechtigkeit kaum eine Chance.
Dem Rechtsstaat fehlt dann die Balance.
Chaos gewinnt die Oberhand.
Nur sagt mir doch, in welchem Gewand
begegnet uns das Erkalten der Liebe?
Dabei wird stets gesagt, das einzige, was bliebe,
seien Glaube, Hoffnung, Liebe.
Ich bin nah dran, ganz aufzugeben.
Was wäre das denn für ein Leben,
wenn die These vom Ende der Liebe stimmt,
weil die Ungerechtigkeit überhand nimmt?
Jetzt schaltet sich Herr Meier ein.
So pessimistisch dürfen Sie nicht sein.
Liebe ist stark, verkraftet sehr viel.
Doch setzt man sie bewusst aufs Spiel,
wenn man Menschen ungerecht behandelt,
weil Eigenliebe sich in Zweifel wandelt.
Nur wer sich selbst von Herzen liebt,
kann auch andere lieben. Und er gibt
Barmherzigkeit, wie es die Bibel nennt
und man’s aus dem Gleichnis kennt,
gern an seinen Nächsten weiter.
Das, mein Freund, das stimmt doch heiter.
Schön und gut, murmelte der Mann,
da ist gewiss was Wahres dran.
Aber eines macht mich wild:
Wie setze ich das nur ins Bild?
Das war Herrn Meiers Element.
Ich kenne das Gefühl. Man rennt
tagelang nur gegen Mauern.
Ich weiß auch, das kann lange dauern.
Am besten macht man eine Pause
und entspannt sich mal zuhause.
Und plötzlich stößt man dann auf Sachen,
die eine Lösung einfach machen.
Drum schlag ich vor, Sie packen ein
und kommen morgen wieder rein.
Gute Gedanken brauchen Zeit.
Hat man sich vom Druck befreit,
liegen sie dann wie von selbst bereit.
Wenn sie es mir nicht verübeln,
wird‘ ich auch ein wenig grübeln.
Die Liebe lebt doch tief im Herzen.
Dort spürt man auch die größten Schmerzen.
Und geht das Liebesglück vorbei,
bricht leicht ein Herz total entzwei.
Dies Bild geht mir nicht aus dem Sinn.
Mal sehn‘, ob ich da nicht fündig bin.
Am nächsten Tag, schon früh am Morgen
kommt der junge Mann mit allen Sorgen
vom Vortag wieder in den Park.
Versagensängste plagen ihn sehr stark.
Was wird, wenn dieser kluge Mann
mir letztlich doch nicht helfen kann?
Noch während er dies denkt,
kommt Herr Meier. Und der schwenkt
von fern schon eine Plastiktüte.
Der junge Mann ruft: meine Güte,
Ihnen scheint es gut zu gehen. Mir nicht.
Ich vermag noch immer nicht zu sehen,
welches Symbol ich wählen kann.
Nur nicht verzagen, junger Mann,
antwortet Herr Meier und zieht dann
ein Herz aus Stein aus seiner Tasche.
Hier, echte Natur und keine Masche.
Ich liebe Steine. Sie sind so beständig.
Obwohl einst heiß und sehr lebendig
sind sie geronnen wie die Zeit.
Zu keiner Regung mehr bereit
liegen sie schroff und schwer im Land.
Ich genieße es, sie mit der Hand
wie einen guten Freund zu fassen.
Immer wieder such ich sie.
Sie helfen in der Therapie.
Eines Tages fand ich dieses Herz,
zu Stein gewordener stummer Schmerz.
Es scheint erstarrt in einem Krampf,
Symbol für den verlorenen Kampf
um Liebe und Gerechtigkeit.
Ich denke, es ist höchste Zeit,
dies mutig allen vorzuzeigen
und nicht immer nur zu schweigen.
Der junge Mann war voller Freude.
Das Symbol verstehen alle Leute,
rief er. Ich habe großes Publikum.
Das Bild haut sicher alle um.
Doch eine Frage bleibt noch offen:
Darf man auf die Liebe hoffen?
Da meinte der Professor knapp:
Von euch Jungen hängt es ab.
Kämpft ihr für Gerechtigkeit,
steht Euch die Liebe allzeit bereit.

Am Ende der langen Reise