Unauslöschliche Spuren

Jede Krebserkrankung und die zu ihrer Bekämpfung erforderlichen Therapien hinterlassen ihre unauslöschlichen Spuren, äußerlich und innerlich, physisch und psychisch. Und, wenn man lange genug überlebt, lebenslänglich mit progredienten Beschwerden, wie es in den Gutachten dann zu lesen ist. Auch die Seele bekommt ihre Blessuren. Sich dennoch ein Stück Lebensqualität zu retten oder sich wieder zu erarbeiten, verlangt auch einen täglichen Kampf.

Man muss lernen, Schmerzen zu ertragen, ohne gleich nach Tropfen oder Tabletten zu greifen. Man muss einsehen, dass manches, was vorher ohne jegliche Anstrengung einfach so erledigt wurde, entweder gar nicht mehr geht oder nur mit großer Energie und enormem Kraftaufwand bewältigt werden kann und dass es dennoch lohnt, zu leben. Und man muss sich sehr davor hüten, seiner Umgebung auf die Nerven zu gehen. Anders formuliert: man ist ein Anderer, als der, der man zuvor war.

Das merken vor allem die Menschen, die uns am nächsten sind, Frau/Mann, Kinder, Partner, Eltern und, soweit noch vorhanden, Freunde. Sie leiden weiter mit und haben auch ihre Probleme, sich auf die von der Krankheit veränderte und doch geliebte und geschätzte Person einzustellen und sich neu auszurichten. Das ist für alle unendlich schwer. Sie teilen die Ungewissheit, ob und wie es weitergeht, die unüberwindliche und deshalb nur zu verdrängende Angst vor einem Rezidiv. Auch sie müssen stark sein. Auch sie fühlen, dass da Dinge geschehen sind, die einen Lebensweg auf den Kopf stellen kann, Lebensläufe durchkreuzen und Lebenspläne von jetzt auf gleich zunichte machen. Auch sie werden von Selbstzweifeln geschüttelt und müssen lernen, mit der Schwäche und der ständigen Gefährdung des Lebens zurecht zu kommen. Auch sie wissen oft nicht, wie sie mit der neuen Situation umgehen sollen.

Das ist durchaus mit dem Fall vergleichbar, in dem ein guter Freund oder Bekannter stirbt. Dann wissen viele auch nicht, wie sie sich verhalten sollen. Auch hier gilt, dass es ganz verfehlt ist, sich von den Leidtragenden zurückzuziehen aus Angst, etwas Falsches zu sagen oder zu tun. Alle vom Schicksal geschundenen Seelen brauchen Nähe und Zuspruch.

Das Sprichwort, wonach geteiltes Leid nur noch halbes Leid ist, trifft tatsächlich zu. Einzige Voraussetzung: ein ehrliches Mitgefühl. Schauspielerei wird schnell erkannt und schmerzt zusätzlich. Dann lieber ganz wegbleiben. Umso beglückender ist es, wenn dann einer aus der Kategorie Freund sich wirklich als solcher zeigt. Ich denke noch heute an eine gute Bekannte, oder sagen wir, Freundin unserer Familie, die mit Tränen in den Augen zu mir kam und sagte: Ich habe etwas gespart. Wenn du das brauchst, dann gebe ich es dir. Das war eine wirklich große und sehr wohltuende Geste.

Eine völlig andere Dimension